Wie kann ich Kinder, die einen erhöhten Unterstützungsbedarf aufweisen, noch besser in ihrer Entwicklung fördern? Diese Frage stellte sich auch unsere gelernte Kinderpflegerin und Erzieherin Miriam Müller. Sie arbeitet seit rund sechseinhalb Jahren beim Diakoniewerk Oberhausen (beziehungsweise bei der ehemaligen evangelischen jugendhilfe), war unter anderem an der Eröffnung unserer Gruppe „Anker & Boje“ (heute Kinderhaus Känguru) und unserer Tagesgruppe „Wellenbrecher“ beteiligt. Dort begleitet sie bis heute Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren, die vor allem soziale/emotionale Bedarfe aufweisen oder die Probleme in der Schule oder mit ihren Eltern haben. „Neben der Lernzeit bieten wir den Kindern jeden Tag verschiedene Aktivitäten an, die sie gleichzeitig fördern: Spielangebote, gemeinsames Musizieren, Gartenarbeit und Ausflüge. Trotzdem habe ich mich gefragt, wie ich die Kinder noch professioneller und individueller unterstützen kann – gerade, weil die Kinder in unserem Arbeitsfeld Auffälligkeiten in meist mehreren Entwicklungsbereichen mitbringen.“ Auf ihrer Suche nach einer geeigneten Weiterbildung stieß Miriam Müller irgendwann auf die Motopädie.
Die Motopädie ist eine Methode zur Behandlung psycho-, senso- und soziomotorischer Leistungs-, Wahrnehmungs- und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Sie unterscheidet die Arbeitsschwerpunkte mototherapeutisch und motopädagogisch; somit ist sie entweder pädagogisch-präventiv oder therapeutisch-rehabilitierend ausgerichtet. Gemein haben beide den stärkenorientierten Ansatz sowie den besonderen Fokus auf die Wechselwirkung zwischen Körper und Psyche.
Anders als bei der Ergotherapie oder auch der Logopädie stehen bei der Motopädie nicht die Defizite der Kinder im Vordergrund, sondern die Entwicklungspotenziale. Während es bei der Ergotherapie und der Logopädie darum geht, ein Defizit eines Kindes gezielt zu beheben, konzentrieren sich Motopädinnen und Motopäden auf die Fähigkeiten und Interessen der Kinder und darauf, die Fähigkeiten mithilfe der Interessen zu fördern. „Nehmen wir beispielsweise ein Kind, das eine falsche Stifthaltung hat. Bei der Ergotherapie würde das Kind zum Beispiel bestimmte Fingerübungen machen, um die Haltung zu verbessern. Ich dagegen überlege: Was mag das Kind? Zum Beispiel Pferde. Wie kann ich mir dieses Interesse zunutze machen? Ich lasse das Kind Zöpfe in eine Mähne flechten. Schon trainiert es seine Feinmotorik – ohne es zu merken“, erklärt Miriam Müller. „Hat ein Kind Probleme mit dem Lesen, könnte man sich gemütlich mit ihm aufs Sofa setzen und üben, üben, üben. Ich wusste aber, dass das Kind gern backt. Also haben wir Kekse und Kuchen gemacht – natürlich nicht, ohne mir von ihm die Rezepte vorlesen zu lassen.“ Nicht nur das: Zusätzlich lernten die Kinder, ihre Emotionen zu differenzieren, auszudrücken und zu regulieren; ebenso regten bewegungs- und erfahrungsorientierte Angebote die Freude an der Bewegung und der eigenen Exploration (Erkundung/Erforschung) an.
Bei der Motopädie ginge es vor allem darum, Kinder zu fördern – ohne dass sie die Förderung bemerken. Das führe schnell zu einem Erfolgserlebnis, Stichwort: Selbstwirksamkeit. „Wir bieten Kindern keine Lösungen an, sondern regen ihre Kreativität an, selbst Lösungen zu finden. Schaffen sie das, merken sie, dass sie etwas bewegen und stolz auf sich sein können. Später greifen sie immer wieder auf das Gelernte zurück. „Ich finde das Konzept klasse, lebe es und habe es im Alltag in der Tagesgruppe fest verankert“, sagt Miriam Müller rund ein halbes Jahr nach Abschluss ihrer Weiterbildung. Gern gibt sie verschiedene Anstöße auch an ihre Kolleginnen und Kollegen weiter. „Als ehemalige Athletin und aktive ehrenamtliche C-Trainerin in der Kinderleichtathletik kommt mir mein Wissen ebenfalls immer wieder zugute. Insofern: ein Erfolgserlebnis auch für mich.“
Die Weiterbildung zur Motopädin/ zum Motopäden kann in Voll- und Teilzeit absolviert werden und dauert entweder zwölf oder 24 Monate. Sie setzt allerdings eine Ausbildung (zum Beispiel zur Erzieherin/zum Erzieher) und/oder ein Studium (zum Beispiel Soziale Arbeit, Sozialpädagogik) sowie mindestens ein Jahr Berufserfahrung voraus. Angeboten wird die Weiterbildung übrigens ausschließlich in Nordrhein-Westfalen.