Trotz der zu dieser Zeit sommerlichen Temperaturen kommen die überwiegend aus Syrien stammenden Kinder in langen Hosen und festen Schuhen. Ihrer Vorfreude auf den Samstagnachmittag tut das aber keinen Abbruch: Gemeinsam mit Kefser Atik-Celik, Teamkoordinatorin und Standortleiterin unseres Sozialbüros in der Gemeinschaftsunterkunft der Stadt Oberhausen, und unserer Ehrenamtlichen Karin Kempmann besuchen drei Jungen und drei Mädchen den Hof der Reittherapeutin Cornelia Schade.
„Ich war vor sechs Jahren schon einmal hier, gemeinsam mit der damaligen Gemeindepädagogin“, erinnert sich Kefser Atik-Celik. „Es hat mir so gut gefallen, dass ich unbedingt noch einmal wiederkommen wollte.“ Und das aus gutem Grund: „Pferde sind hervorragend für den Einsatz in der Traumatherapie geeignet: Sie besitzen einen hohen Aufforderungscharakter, reagieren auf verdeckte Emotionen und vermitteln ein Gefühl des Vertrauens. Damit übernehmen sie in der Stabilisierungsphase nach einem erlebten Trauma eine wichtige Funktion.“ Zwar habe das Projekt, das die Diplom-Pädagogin gern langfristig etablieren wollen würde, noch keinen richtigen Namen. Die Kinder stört das jedoch herzlich wenig. Sie können es kaum erwarten …
Mensch und Tier müssen sich erst einmal kennenlernen
Doch bevor es zu den Ponys geht, müssen die Kinder erst einmal ihr Wissen unter Beweis stellen. Bei einem kleinen Quiz gilt es, verschiedene Fragen richtig zu beantworten: Was fressen Pferde eigentlich am liebsten? Wie viele Stunden am Tag fressen sie? Und wie viel trinken sie am Tag? Und was machen sie, wenn sie Angst haben? Gar nicht so einfach … Oder hättet Ihr gewusst, wie genau der Begriff „Herdentier“ definiert wird und wer überhaupt in der Herde das Sagen hat? „Mir ist es wichtig“, sagt Besitzerin Cornelia Schade, „dass die Kinder erst einmal etwas über Pferde lernen. Die Tiere sprechen zum Beispiel ganz viel mit dem Körper, vor allem mit dem Gesicht und den Ohren. Man sollte also verstehen, was sie gerade sagen, damit man weiß, wie man gut miteinander umgeht.“
Nach einer Stallbesichtigung geht es zu den Ponys. „Wisst Ihr eigentlich, wie man richtig Hallo sagt?“, fragt die Reittherapeutin. Die meisten machten es nämlich falsch und streichelten direkt das Gesicht. „Fändet Ihr es gut, wenn plötzlich ein Fremder auf Euch zukäme und Euch direkt über die Wange streichelt?“ Die leicht angewiderten Gesichter der Kinder waren Antwort genug. Stattdessen sollte man langsam auf die Tiere zugehen – Aber immer von der Seite, sodass sie einen auch gut sehen können! – und ihnen vorsichtig den Handrücken hinhalten, sodass sie daran riechen könnten. „Ihr müsst Euch ja erst einmal kennenlernen und einander vertrauen.“ Ließen die Pferde es zu, könnte man sie am Hals streicheln. Oder kratzen. „Ganz fest. Das lieben sie.“ Das ließen sich die meisten Kinder nicht zweimal sagen. Mit einer gehörigen Portion Respekt näherten sie sich Tamika (5), Leila (16), Chiara (27) und Mina (13), die sich die Streicheleinheiten zu gern gefallen ließen. „Und wenn die Tiere keine Lust mehr haben, gehen sie einfach weg“, erklärt Christina, die auf dem Hof mithilft. „Dürfen wir jetzt auf den Ponys reiten?“, wollen vor allem die Mädchen wissen. Reiten spiele für Cornelia Schade keine große Rolle. „Es gibt viele andere tolle Sachen, die man mit einem Pferde machen kann. Das Reiten muss man sich erst verdienen, das ist nämlich unheimlich anstrengend für die Tiere.“
Einstellung zu Pferden hinterfragt
Die Sonderpädagogin war schon als Kind „pferdeverrückt“, besaß mit 18 ihr eigenes Pferd und baute ihre Leidenschaft für die Tiere gern in die Arbeit als ehemalige Jugendleiterin in der Emmausgemeinde ein. „Irgendwann fragten mich Freunde, ob sie mit ihren Kindern kommen dürften. Daraus entstand eigentlich die Idee, pferdegestützte Arbeit anzubieten.“ Im Jahr 2005 schloss sie die Ausbildung zur Reittherapeutin ab und ist seitdem regelmäßig auf ihrem Hof in Königshardt zu finden. „Die Arbeit mit einer Mädchengruppe hat mich meine Einstellung zu Pferden noch einmal hinterfragen lassen: Wir haben ihnen vermittelt, dass sie Grenzen setzen müssen, die andere zu respektieren haben. Und sie wunderten sich, warum das nicht auch für die Pferde gelte.“ Dieser Ansatz habe ihrer Arbeit nochmals ganz neue Impulse gegeben.